Gut betreut daheim: eine Frage des Geldes
Betreuende Angehörige brauchen Zugang zu konkreter Entlastung.
Damit Menschen mit Krankheit oder Beeinträchtigung, egal ob physisch, psychisch oder kognitiv, und bis ins hohe Alter zuhause leben können, brauchen sie Unterstützung. Aktuell wird diese zum grossen Teil von Angehörigen gewährleistet. Viele von ihnen brauchen dringend Entlastung. Doch nicht alle können sich das leisten.
Im Laufe unserer Existenz – von der Geburt bis zum Tod – benötigen wir immer wieder Unterstützung, Betreuung und vielfach auch Pflege. Diese Unterstützung leistet zu einem sehr grossen Teil in der Schweiz das persönliche Umfeld betroffener Menschen. Wer Entlastung braucht, muss diese selber bezahlen. Doch viele können sich Betreuung – insbesondere zuhause, wo die meisten Menschen so lange wie möglich leben wollen – nicht leisten.
Mindestens rund 600'000 Personen betreuen in der Schweiz ihnen nahestehende Menschen. Diese Schätzung geht aus einer schweizweiten Befragung hervor. Das heisst, dass jede 13. Person ab 16 Jahren in der Bevölkerung betreuend ist. Vermutlich sind es aber deutlich mehr: Die Mehrheit der betreuenden Angehörigen ab 16 Jahren gibt nämlich an, dass mindestens eine weitere Person aus dem Familienkreis bei der Betreuung und Pflege mithilft (siehe BAG). Womit die Anzahl betreuender Angehöriger mehr als eine Million beträgt. Die zahllosen betreuenden Angehörigen in der Schweiz entlasten unser Gesundheitssystem und unsere gesamte Gesellschaft mit ihrem enormen Beitrag.
Entlastung tut not!
Für sie ist die heutige Situation in der Schweiz ein Problem. Denn die Betreuung eines Familienmitgliedes wird von vielen Angehörigen zwar als schöne, bereichernde und sinnstiftende Tätigkeit empfunden, die sie nicht missen wollen. Gleichzeitig aber ist sie auch sehr belastend. Zeitlich, psychisch, physisch und finanziell. Damit pflegende und betreuende Angehörige diese Aufgabe über längere Zeit erfüllen und dabei die eigene Lebensqualität und Gesundheit erhalten können, brauchen sie regelmässige Pausen.
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass betreuende Angehörige überdurchschnittlich stark gefährdet sind, selbst zu erkranken. Viele von ihnen geben überdies ihre Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise auf, um ihrer Betreuungsaufgabe gerecht werden zu können. Das ist für die Betroffenen mit schmerzlichen finanziellen Einbussen verbunden – in der Gegenwart ebenso wie in der Zukunft, wenn die Altersvorsorge zu tief ausfällt und/oder der berufliche Wiedereinstieg zum Problem wird.
Eine Frage des Geldes
Betreuende Angehörige brauchen Zugang zu konkreter Entlastung. Aktuell jedoch sind die Kosten für Betreuung durch keine Sozialversicherung gedeckt. Das heisst: Betreuende Angehörige von Menschen, die über die reine medizinische Pflege hinaus Betreuung brauchen, müssen die nötige Entlastung selber bezahlen. Gute Betreuung ist nicht gratis und viele Menschen können sich diese nicht leisten.
«Bezahlte Betreuung zuhause ist bei umfangreichem Bedarf oft schlicht nicht finanzierbar. (…) Insbesondere aus Sicht der Sozialhilfe ist rasch der Punkt erreicht, wo eine Heimeinweisung zu tieferen Kosten führt», heisst es in einem Bericht des BAG vom Oktober 2019 über die finanzielle Tragbarkeit der Kosten für Unterstützungs- und Entlastungsangebote im Rahmen des Förderprogramms «Entlastungsangebote für betreuende Angehörige 2017–2020».
Der Entlastungsdienst Schweiz fordert, dass Betreuung in der Schweiz so finanziert wird, dass sie für alle zugänglich ist.
Gute Betreuung im Alter ist möglich
– wenn die Politik sich bewegt
Die Paul Schiller Stiftung stellte am 3. September 2021 eine Studie vor, die zeigt, wie sich gute Betreuung für Menschen im Alter finanzieren lässt. - Und liefert gleich auch einen Lösungsansatz: Ein Finanzierungsmodell, das das Betreuung unabhängig von der finanziellen Situation oder der Wohnform der Betroffenen zugänglich macht und gleichzeitig die Qualität im Blick behält. Mehr dazu hier.
Der Entlastungsdienst Schweiz und das Netzwerk Gutes Alter setzen sich dafür ein, dass die Politik an den fundierten, praxisnahen Vorschlägen der Paul Schiller Stiftung anknüpft und sich daran macht, die nötigen Rahmenbedingungen für ein gutes Altern in der Schweiz zu schaffen.
Hier zeigt sich ganz deutlich: Betreuende Angehörige sind sowohl für die von ihnen betreuten Menschen wie für die gesamte Gesellschaft und das Gesundheitssystem der Schweiz absolut relevant. Und dennoch sind sie einer enormen Mehrfachbelastung ausgesetzt. Das darf nicht sein.
Das Problem ist von der Politik erkannt worden. Allerdings fehlen noch entscheidende Schritte, um konkreten Lösungen näherzukommen. Während halbherzig nach konsensfähigen Lösungen gesucht wird, bleiben betreuende Angehörige Tag und Nacht engagiert und leisten die für uns alle existenzielle Sorgearbeit mit Herz und Hand. Der Entlastungsdienst Schweiz ist der Ansicht, dass Lösungen für dieses Problem nur möglich sind, wenn Betreuung (Care-Arbeit) endlich als Arbeit anerkannt wird.
Forderungen
Betreuung (Care-Arbeit) ist endlich als Arbeit anzuerkennen.
Wer Nahestehende betreut, arbeitet (auch).
Ein Recht auf Betreuung in der Verfassung verankern
Um allen Menschen in der Schweiz ein würdiges Altern zu gewähren, sollte die Betreuung gesetzlich geregelt werden.
Daheim statt Heim
Die ambulante Betreuung in der eigenen Wohnung soll analog der ambulanten Pflege gefördert werden.