Mit Behinderung alt werden: Der Übertritt von der IV in die AHV
Wenn Menschen mit Behinderung das Pensionsalter erreichen, mangelt es an der nötigen Unterstützung. Denn mit dem Erreichen des Pensionsalters ist meist der Übertritt von der IV in die AHV verbunden – und damit ein Wechsel der Zuständigkeiten. Bisherige, oft langjährige Ansprechpersonen und Organisationen sind plötzlich nicht mehr zuständig.
«Ich bin jetzt nicht mehr behindert, sondern alt.»
So formulierte es eine Teilnehmerin einer Studie über das Altern mit einer Mobilitätsbehinderung 2018*. Dieser neue Fokus weg von der Behinderung hin zum Alter stellt Betroffene vor zahlreiche praktische Herausforderungen und oft vor finanzielle Probleme.
Für einige IV-Leistungen besteht im AHV-Alter weiterhin Anspruch (Besitzstandgarantie). Dies gilt beispielsweise für Assistenz-Beiträge, die Hilflosenentschädigung und die meisten Hilfsmittel. Leider aber kommen auch bei Menschen mit Behinderung im höheren Alter oft zusätzliche gesundheitliche Probleme hinzu oder bestehende Beeinträchtigungen verschlimmern sich. Verändert sich der Bedarf, nachdem das AHV-Alter eingetreten ist, ist es mit den bestehenden Leistungen oft nicht möglich, diesen Bedarf zu decken. Ein Assistenzbeitrag beispielsweise kann im Alter nicht mehr einem höheren Bedarf angepasst werden. Wenn seit dem AHV-Alter zusätzliche behinderungsbedingte Anpassungen nötig sind, wofür kein Besitzstand aus der IV besteht und die Finanzierung nicht aus eigenen Mitteln möglich ist, erschliessen Pro Senectute oder AHV-Zweigstellen Finanzierungsmöglichkeiten.
Beim Übergang von IV zu AHV besteht für Betroffene grosser Informations- und Beratungsbedarf, der von unterschiedlichen Organisationen aufgefangen werden muss. Der Übertritt in die AHV kann auch zu unangenehmen finanziellen Folgen für Betroffene führen. Dazu ist es stossend, dass Menschen mit Behinderung aufgrund der unterschiedlichen Zuständigkeiten auch im «Ruhestand» für eine selbstbestimmte Lebensführung und ein barrierefreies Umfeld kämpfen müssen. Ein Wechsel der Zuständigkeiten und Ansprechpersonen ist auch für betreuende Angehörige im hohen Alter höchst problematisch.
Die Politik ist in der Pflicht
Der Entlastungsdienst Schweiz kann für Betroffene in diesem Übergang eine entscheidende Konstante darstellen: Betreuerinnen und Betreuer des Entlastungsdienstes begleiten ihre Kundinnen und Kunden unabhängig von solchen Zuständigkeiten und betreuen sie auch nach einem allfälligen Übertritt in eine Institution weiter. Das kann die Situation vereinzelt entschärfen – es löst aber das grundsätzliche Problem nicht. Hier sind politische und behördliche Entscheidungsträger*innen sowie Fachpersonen aus verschiedenen Bereichen in der Pflicht.
Dabei ist auch das Bild des «aktiven Alters», wie es in der Schweiz vorherrschend ist und laufend reproduziert wird, zu thematisieren. Denn dieses Konzept scheint der Schweizer Alterspolitik zugrunde zu liegen – und darin werden die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen schlicht nicht berücksichtigt. Mehr noch: Es wird ausgeblendet, dass Menschen auch aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters Beeinträchtigungen erleben. Wer nach Erreichen des Pensionsalters eine Behinderung erwirbt – sei es zum Beispiel aufgrund eines Schlaganfalls, eines Unfalls oder als Folge einer Alterserscheinung – hat nur einen beschränkten Anspruch auf Hilfsmittel der AHV. Wenn zusätzlicher Bedarf besteht, muss sich die betroffene Person oder deren Vertretung an eine Beratungsstelle wenden, die die Finanzierung an die Hand nimmt.